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Simchat Tora


Simchat Tora - das Fest der Torafreude

Seit dem achten Jahrhundert etwa hat sich allmählich in der gesamten jüdischen Welt der Brauch eingebürgert, den letzten Tag des Sukkotfestes, Schemini Azeret, auch als “Simchat Tora”, als das Fest der Torafreude zu begehen. In der Diaspora, wo Schemini Azeret zwei Tage lang begangen wird (zum zweiten Festtag der Diaspora siehe unsere Erklärung am Schluss von Jüdische Feste/Festtagsbestimmungen) wird Simchat Tora am zweiten Feiertag gefeiert, wodurch die beiden Feiertage einen voneinander unterschiedlichen Charakter erhalten. Im Lande Israel fällt Simchat Tora mit Schemini Azeret zusammen.
Das Fest der Torafreude bezeichnet den Abschluss des einjährigen Lesezyklus der Tora, der an diesem Fest alljährlich erneuert wird. Die Tora wird nämlich in eine der maximalen Anzahl der Jahreswochen entsprechende Zahl von Wochenabschnitten eingeteilt (die kann nach dem *hebräischen Kalender, nach dem ein Jahr mitunter 13 Monate hat, bis 54 betragen). So wird sie bei der im Rahmen des Gemeinschaftsgebets an jedem Schabbat stattfindenden öffentlichen Toralesung in der Synagoge innerhalb eines Jahres durchgelesen. An Simchat Tora wird dieser Lesezyklus mit dem letzten Abschnitt des Buches Deuteronomium (5. Buch Moses) abgeschlossen und sogleich wieder neu mit Genesis (1. Buch Moses) 1,1 eröffnet: “Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde ...."
Die Tatsache, dass das Fest der Torafreude erst so spät in Erscheinung trat, hängt damit zusammen, dass sich der einjährige Lesezyklus der Tora, dessen Abschluss und Wiederaufnahme ja Anlass dieses Festes bilden, ebenfalls erst zu jener Zeit allgemein durchgesetzt hat. Noch zur talmudischen Zeit gab es nach jüdischer Überlieferung im Lande Israel einen dreijährigen Lesezyklus, womit zu einem alljährlich wiederkehrendem Fest anlässlich seiner Erneuerung kein Anlass bestand. Später hasich dann der zunächst in Babylon übliche einjährige Lesezyklus allgemein durchgesetzt.
Simchat Tora hat einen Volksfestcharakter und wird mit oft stundenlangem Tanzen der ganzen Gemeinde in der Synagoge gefeiert. Eine anschauliche Beschreibung von Simchat Tora finden wir in einem Buch, das die Atmosphäre eines der letzten im Deutschland der NS-Zeit gefeierten Simchat Tora Feste wiedergibt:

"Im Oktober 1938, also unmittelbar vor der 'Kristallnacht' des 9. November 1938, wurde Simchat-Tora, das letzte Fest in der Bornschul, wie in allen noch bestehenden Synagogen Deutschlands gefeiert. Es ist das Freudenfest über die Tora, die Fünf Bücher Moses, das jährlich im Herbst begangen wird; nämlich dann, wenn ein Jahreszyklus der wöchentlichen Tora-Vorlesungen beendet ist und man an Ort und Stelle einen neuen Lese- und Lernzyklus beginnt, um den wöchentlichen Abschnitt aus der Heiligen Lehre zu lesen.
Es war das Fest der Kinder, der Jungen wie der Mädchen. Alle gingen in die Männerschul. Die Kinder hatten bunte Fahnen; sie wurden mit Süßigkeiten überschüttet, damit sie die Assoziation zwischen dem süßen Geschmack und der Heiligen Lehre empfänden. Der goldbestickte Vorhang wurde zurückgezogen, die Heilige Lade geöffnet und alle Tora-Rollen wurden herausgehoben. Sie waren geschmückt mit bestickten Samtmäntelchen, mit silbernen Schildern und mit wunderschönen Kronen, an denen kleine Glöckchen hingen; diese Glöckchen klingelten in vielen harmonischen, sanften und feinen Tönen. Die Schul war hell erleuchtet und die Männer in ihren weißen Gebetmänteln sangen und tanzten mit den Tora-Rollen auf dem Arm und mit den Kindern, die ihre bunten Fähnchen schwenkten. Allen voran Oberrabbiner Carlebach, der Ausschau hielt, ob nicht etwa ein Kind übersehen wurde, das keine Fahne hatte, keine Süßigkeiten bekam und sich nicht in den Reigen wagte. Dann holte er es aus seiner Ecke und hob es hoch, und es tanzte und sang und klatschte in die Hände mit allen zusammen.
Dann kam der schönste Augenblick: All die kleinen Knaben, zwanzig oder dreißig an der Zahl, etwa drei- bis fünfjährig, kletterten die Stufen zum Almemor hinauf. dort lag auf einer roten Samtdecke die offene Tora-Rolle. Der Vorleser zeigte den Kindern mit einem silbernen Zeiger, wo in der Tora gelesen wurde. Dann breitete man einen weiten Gebetmantel über die Kinderschar, und mit Hilfe des Vorbeters sagten sie: “Wir segnen Dich, G'tt, dass Du uns Deine Tora gegeben hast” und die ganze Gemeinde antwortete ihnen mit einem widerhallenden 'Amen'. Es war ein unvergesslicher Anblick, und die Kinderstimmen klingen noch heute in mir nach wie Engelmusik" (Miriam Gillis, Jedes Kind ist mein Einziges, 1992).
Der sich immer wiederholende Zyklus der Toralesung, der mit voller Absicht an dessen Abschluss unverzüglich angehängte Wiederanfang, gibt anschaulich die jüdische Auffassung der Tora wieder. Die vom Schöpfer gegebene Lehre, die auf uns in der Form von Buchstaben, Worten, Geschichten, Anweisungen und Geboten niederkam, ist ebenso unendlich und unerschöpflich wie das von demselben Schöpfer geschaffene All. Kind und Greis, Mann und Frau, der Gelehrte und der Ungebildete, sie alle lesen dasselbe Buch und können, jeder auf seiner Ebene, zu dessen Verständnis gelangen. Die Worte der Tora sind wie die Splitter eines “vom Hammer zertrümmerten Felsens” (Jeremia 23,29), alle vom gleichen Stein und doch alle verschieden (Sanhedrin 34a). Die Tora präsentiert sich mithin einem jeden von einer anderen Seite, ohne sich dabei zu widersprechen: “Siebzig Aspekte hat die Tora” (Bamidbar Rabba 13). Die Tora kann man nie “zu Ende lesen”. Immer wieder entdeckt man darin Neues, dringt in neue Tiefen ein: “Wende sie hin und wende sie her, denn sie enthält alles, blicke tief hinein in sie, werde grau und alt an ihr und weiche nicht von ihr, denn es gibt kein besseres Maß als sie” (*Mischna Pirke Awot 5,25). Das ist das Bewusstsein, in dem das Fest der Torafreude begangen werden will.




von Webseite des Joseph Carlebach Institut

 
 
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