Die Bedeutung des Auszugs aus Ägypten für das Judentum |
Volle Feiertage und "Halbfeiertage" |
Das Chamez-Verbot |
Das Pessachopfer |
Der Sederabend
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Mazza |
Maror |
Haggada - "Du sollst deinem Kind erzählen …" (Ex. 13,8)
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Die vier Becher der Erlösung |
Das Fest des Frühlings |
Das Omer-Zählen |
Pessach ist das in der Tora meisterwähnte Fest. An ihm feiern die Juden den Auszug
aus Ägypten, der das jüdische Volk vor dem Untergang bewahrte. Gerade erst in
Entstehung begriffen - Pharao ist der erste, der die auf ägyptischem Boden sich
mehrenden Nachkommen Jakobs als "Volk" wahrnimmt (Ex. 1,9) - wird es
bereits zum Tode verurteilt: "Alle neugeborenen Söhne werfet in den
Nil" (ebd. Vers 22). Durch ein sich in zehn gleichsam apokalyptisch anmutenden
Naturkatastrophen (die 10 Plagen) manifestierendes göttliches Strafgericht wird die
damalige Weltmacht Ägypten von Gott gezüchtigt und lässt die Juden aus dem
Land ziehen (Ex. 7,19-12,51).
Das jüdische Volk erhält das Gebot, dieses Auszugs in aller Zukunft zu gedenken:
"Und dieser Tag sei euch zum Andenken, und ihr sollt ihn feiern als Fest dem Ewigen;
in allen Generationen sollt ihr ihn als ewige Satzung feiern" (Ex. 12,14).
Der im Pessachfest für alle Generationen verewigte Auszug aus Ägypten ist der
Grundstein, auf dem das ganze Judentum basiert. Der Jude soll seiner nicht nur an Pessach,
sondern jeden Tag gedenken, wie es heißt: "… du sollst des Tages deines Auszugs
aus Ägypten alle Tage deines Lebens gedenken" (Dt. 16,3).
Bei dem von den jüdischen Weisen formulierten Kidusch am Schabbat sowie an allen
von der Tora vorgeschriebenen Feiertagen darf die "Erinnerung an den Auszug aus
Ägypten" nicht fehlen. Denn ohne ihn gäbe es überhaupt keine
jüdischen Feste, mit ihm steht und fällt das ganze Judentum. Er allein wäre
Grund genug gewesen, zwischen Gott und dem jüdischen Volk ein ewiges Band zu
knüpfen. Sogar die oberste metaphysische Wahrheit des Judentums, ja der Religion
überhaupt, der "grundlegendste Grundsatz und Stützpfeiler der Weisheit",
das Wissen um die Existenz eines allmächtigen Gottes (*Maimonides, *Mischne Tora,
Hilchot Jessode Hatora 1,1), ist für den Juden unauflösbar mit diesem Ereignis
verbunden: "Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt
hat", heißt es im ersten der zehn Gebote (Ex. 20,2). Der jüdische Glaube
beruht mithin auf dem Wissen um Gottes Eingriff ins Schicksal des Volkes: dem Auszug aus
Ägypten (Jehuda Halevi, Kusari, Kap. 1-2).
Das Pessachfest dauert eine Woche lang. Diese sieben Tage bezeichnen den Zeitraum vom
Auszug aus Ägypten bis zur Überquerung des Schilfmeeres (roten Meers). Als
volle Feiertage gelten jedoch nur der erste Tag - der Tag des Auszugs - und der letzte
Tag - der Tag der Spaltung des Schilfmeeres. Dazwischen liegen die sog. Halbfeiertage
("Chol Hamoed"). An ihnen sind die meisten Werktätigkeiten zwar nicht
verboten, sollen aber möglichst eingeschränkt werden (*Schulchan Aruch, Orach
Chajim 530,1 und 539,1).
Das für dieses Fest wohl charakteristischste Gebot, das ihm seinen Stempel aufdrückt, ist das Verbot, an Pessach "Chamez" zu essen oder auch nur zu besitzen: "Gedenket dieses Tages, an dem ihr aus Ägypten gezogen seid … kein 'Chamez' soll gegessen werden" (Ex. 13,3), ja "kein 'Chamez' soll bei dir zu sehen sein" (ebd. Vers 7). Chamez - meist als Gesäuertes übersetzt - bezeichnet sämtliche Speisen aus einer der fünf Getreidearten Weizen, Gerste, Dinkel, Hafer und Roggen, die einem Gärungsprozess ausgesetzt waren. Dieser wird durch deren Kontakt mit Wasser bewirkt. Somit gelten alle aus Mehl (dieser fünf Getreidearten) und Wasser hergestellten Back- und Teigwaren, deren Teig Zeit hatte aufzugehen, d.h. zu gären, als Chamez. Das Chamez-Verbot ist sehr streng und gilt das ganze Fest über.
Symbolisch steht Chamez für den "bösen Trieb" im Menschen, für diejenigen Kräfte, die sein Ego, wie einen aufgehenden Teig, derart blähen, bis er sich selbst zum Maß aller Dinge wird (*Raschi zu *Talmud Berachot 17a) - insbesondere also für Überheblichkeit und Stolz: "Wenn einer überheblichen Mutes ist, so ist für Mich und ihn zusammen kein Platz auf der Welt, spricht Gott" (Talmud Sota 5a). Jeder Teig, der zu lange sich selbst überlassen wird, geht nach einer Weile auf. Die Seele des Menschen ist wie der Teig. Wenn sie nicht geknetet wird, wenn man nicht ständig an ihr arbeitet, so bläht sie sich auf. Wo dem guten Trieb nicht Eingang verschafft wird, "schwillt" der böse Trieb. Überheblich prahlte Ägyptens Pharao: "Mir gehört mein Nil, ich selbst habe mich erschaffen" (Ezekiel 29,3) und: "Wer überhaupt ist Gott, dass ich auf seine Stimme höre" (Ex. 5,2).
Am Vorabend des 14. Nissan geht jeder jüdische Hausvater mit einer Kerze umher und leuchtet in alle Ecken und Winkel hinein, um auch die letzten Brotkrümelchen, eventuelle allerletzte Reste von Chamez in seiner Wohnung aufzuspüren (*Schulchan Aruch, Orach Chajim 431,1). So sollte er auch die Winkel seiner Seele durchleuchten.
Diese letzten Reste von Chamez sollen dann am nächsten Morgen, dem Vortag des Pessachfestes, verbrannt werden (ebd. 446,1 und *Rema z.St.). Dabei pflegen manche folgendes zu sprechen: "Möge es Dein Wille sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, dass Du den bösen Trieb aus unserem Inneren vertilgst, so wie ich jetzt den Chamez vertilge. Ich erkläre ihn für null und nichtig wie den Staub der Erde". Gerade jetzt, am Jahrestag des Beginns der Gottesherrschaft über das jüdische Volk soll die Bereitschaft bekundet werden, sich restlos Gottes Führung zu fügen - wie damals, beim Auszug aus Ägypten.
Die anderen Gebote des Pessachfestes sind keine Verbote (wie das Chamez-Verbot) sondern Gebote und erstrecken sich auch nicht auf das ganze Fest, sondern nur auf die erste Pessachnacht (in der Diaspora die ersten beiden Pessachnächte), den sog. Sederabend. Das zu Tempelzeiten veranstaltete Pessachopfer musste sogar schon am Nachmittag zuvor dargebracht werden.
"Am vierzehnten Tage dieses Monats ( Nissan ) gegen Abend sollt ihr es (das Pessachopfer) darbringen" (Num. 9,3), "und ihr sollt es einhalten als Satzung für dich und deine Söhne auf ewig" (Ex. 12,24). Als der Tempel noch stand, wurde am Vorabend des Pessachfestes ein Lamm als Pessachopfer dargebracht. Dessen "Opfercharakter" bestand u.a. darin, dass die anschließend in jedem jüdischen Haus stattfindende Opfermahlzeit mit bestimmten Vorschriften verbunden war. Erst durch sie gewann ein ursprünglich rein physisches Bedürfnis (Essen) einen zusätzlichen geistigen Wert.
Dieses an Pessach dargebrachte Lamm sollte allen nachfolgenden Generationen das ursprüngliche Pessachopfer vergegenwärtigen, das die Juden kurz vor ihrem Auszug aus Ägypten dargebracht haben. Damit stellten sie nicht nur ihre Freiheit von jeglicher Menschenknechtschaft unter Beweis, sondern auch ihre Reife und Bereitschaft für die ihnen von Gott zugedachte Freiheit: Die Freiheit der Gottesknechtschaft.
Dem Pessachopfer verdankt das Pessachfest auch seinen Namen. "Was hat 'Pessach' zu bedeuten?", fragt die Haggada im Hinblick auf dieses Opfer und antwortet: "dass Gott über die Häuser unserer Väter in Ägypten hinwegschritt (Hebr. 'passach') … als er die Ägypter schlug" (vgl. *Mischna Pessachim 10,5 und Ex. 12,27).
Dieses Gebot kann heute nicht erfüllt werden, denn seit der Zerstörung des Tempels können keine Opfer mehr dargebracht werden. Ein gebratener Knochen auf der Seder-Schüssel erinnert an das Pessachopfer.
Jüdische Feiertage fangen am Abend, bei Anbruch der Finsternis an. Der erste Abend des Pessachfestes (in der Diaspora die ersten zwei Abende) heißt Sederabend. Dieser wird im Rahmen einer familiären, den Charakter einer Tischzeremonie tragenden Festmahlzeit begangen. "Seder" heißt "Ordnung", denn der Sederabend zeichnet sich durch eine besondere Ordnung aus: den "Seder-Pessach". Dieser besteht aus einer bestimmten Reihenfolge von Handlungen, die erst seit dem 12. Jh. in der gesamten Diaspora einheitlich war. Seit dieser Zeit hat sich wohl auch die Seder-Schüssel eingebürgert, auf der bestimmte symbolische Gerichte ("Simanim") angeordnet sind (*Schulchan Aruch, Orach Chajim 473,4). Diese kommen im Laufe des Seder-Pessach "zum Einsatz". Im Zentrum der Seder-Schüssel liegen drei Mazzot.
Am Sederabend soll man Mazza (sog. ungesäuertes Brot) essen. Denn das gewöhnliche Brot ist "Chamez" und darf daher an Pessach nicht gegessen werden. Brot und Mazza sind von ihrer Zusammensetzung her identisch, denn als Mazza gilt nur, was gerade aus dem Teig hergestellt wurde, welcher, wenn gegoren, zu Chamez wird. Der einzige Unterschied zwischen Chamez und Mazza liegt mithin im Gärungsprozess: bei Chamez lässt man ihn gewähren, bei der Mazza wird er durch sofortiges Backen unterbunden.
Während man an allen anderen Tagen des Pessachfestes zwar kein Chamez essen darf, jedoch auch nicht verpflichtet ist Mazzot zu essen, ist das Essen von Mazzot am ersten Pessachabend, dem Sederabend, ein Toragebot: "Am vierzehnten Tag des Monats, am Abend, sollt ihr Mazzot essen ..." (Ex. 12,18).
Die Mazza weist einen bemerkenswerten Doppelcharakter auf. Zum einen heißt sie das "'Brot der Armut' ('Lechem Oni'), das unsere Väter in Ägypten gegessen haben" (Haggada), zum anderen gilt sie als das Brot der Erlösung, mit dem die Juden aus Ägypten zogen. Diese doppelte Funktion der Mazza kann vielleicht als ein Hinweis darauf angesehen werden, dass die Güter dieser Welt keinen ihnen inherenten absoluten Wert haben, der ihnen immer und überall zukommt. Vielmehr sind sie in einen Schicksalskontext eingebunden, der ihnen ihren Wert verleiht. Ein- und dieselbe Mazza kann daher einmal als Brot der Armut, einmal als Brot der Erlösung gelten.
Die Mazza weist noch einen weiteren Doppelaspekt auf. "Sieben Tage lang sollt ihr nur Mazzot essen …" (ebd. Vers 15), heißt es noch vor dem Auszug aus Ägypten. Hier wird uns die Mazza als von vornherein geboten vorgestellt. In der Haggada hingegen begegnet sie uns als eine eilig improvisierte Wegzehrung. Auf die Frage: "Was hat diese Mazza, die wir da essen, für eine Bedeutung?", heißt es dort unter Berufung auf einen anderen Toravers: "Sie ist ein Hinweis darauf, dass der Teig unserer Väter keine Zeit hatte aufzugehen … 'da sie aus Ägypten getrieben wurden und sich nicht aufhalten konnten und sich daher auch keine Wegzehrung bereitet hatten' (Ex. 12,39)".
Vielleicht ist dieses Paradox ein Hinweis darauf, dass die in unseren Augen oftmals den Stempel der Nachträglichkeit tragenden Geschehnisse letztlich von vornherein so vorgesehen waren.
Zu den auf der Seder-Schüssel angeordneten Speisen, die die Mahlzeit nach geistigen Gesichtspunkten gestalten, gehört der Maror, das Bitterkraut. Als Maror, Bitterkraut, kann im Grunde jede bittere Pflanze dienen. "Was hat dieser Maror, den wir da essen, für eine Bedeutung", fragt die Haggada, um sogleich zu antworten: "Er erinnert uns daran, wie die Ägypter unseren Vätern das Leben bitter machten, wie es heißt: 'Sie machten ihr Leben bitter mit harter Arbeit …'". Die Erinnerung an die eigenen Leiden soll läuternd wirken. Nicht das bloß passive Leiden selbst, wohl aber die inneren Kräfte, die dadurch erst ans Licht traten, machten die Juden reif für ihre Sendung (Carlebach, 1931).
Mit der Erinnerung an die eigene Bitternis ist das Gebot verbunden, auch dem Leiden des anderen, des "Fremden", sein Herz aufzuschließen: "Du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremde wart ihr im Lande Ägypten" (Lev. 19,34).
Der Sederabend ist ganz und gar um die Haggada, die Erzählung vom Auszug aus Ägypten, aufgebaut. Diese richtet sich ausdrücklich an die Kinder, an die nächste Generation also: "Wenn dein Kind dich dann später einmal fragen sollte: 'Was hat es auf sich mit diesen Satzungen, Geboten und Rechtsverordnungen, die euch der Ewige, unser Gott, anbefohlen?', so sprich zu ihm: 'Sklaven waren wir dem Pharao in Ägypten, doch der Ewige führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand'" (Dt. 6,20-21). Die ausdrückliche Bezugnahme auf die Kinder macht die Haggada besonders im Hinblick auf das in ihr angewandte pädagogische Rüstzeug interessant.
Die zentralen Passagen der Pessach-Haggada werden schon in der *Mischna aufgeführt (Pessachim, Kap. 10), so dass die Haggada, obwohl ursprünglich wohl frei erzählt, bereits früh in eine relativ feste Form gegossen wurde. In dieser Form, zuzüglich einiger Zusätze aus dem Mittelalter, ist sie uns bis heute erhalten geblieben.
Das Leitmotiv der in der Haggada angewandten Pädagogik ist die Stimulierung kindlicher Neugier. Alles ist anders an diesem Abend, mit Absicht anders. Das Kind wird durch eine Reihe im Rahmen des Sederabends vorzunehmender Handlungen zum Fragen angeregt. Wie von selbst soll sich die berühmte vierfache Frage der Haggada dem Kind aufdrängen:
"Wieso unterscheidet sich diese Nacht derart von allen anderen Nächten?
In allen anderen Nächten essen wir sowohl Chamez als auch Mazza, in dieser Nacht nur Mazza.
In allen anderen Nächten essen wir sonstiges Gemüse, in dieser Nacht gerade Bitterkraut.
In allen anderen Nächten tunken wir (das Gemüse) nicht ein einziges Mal ein, diese Nacht jedoch gleich zweimal.
In allen anderen Nächten essen wir aufrecht sitzend oder angelehnt, in dieser Nacht jedoch nur angelehnt".
Das "Anlehnen" gilt beispielsweise als Hinweis auf die beim Auszug aus Ägypten gewonnene Freiheit. Nur freie Menschen sitzen angelehnt, Sklaven hingegen müssen auch mitten im Essen immerzu abrufbereit sein, was sich auf ihre Körperhaltung auswirkt.
Ein anderer pädagogischer Grundsatz, der in der Haggada zum Tragen kommt, stammt von König Salomon: "Erziehe den Jugendlichen gemäß seiner Art …", lautet die von ihm geprägte Erziehungsformel (Sprüche 22,6). Nur dann nämlich, wenn die Erziehung der jeweiligen individuellen Persönlichkeit des Kindes gerecht zu werden vermag, kann sie auf nachhaltigen Erfolg hoffen: " … wenn er dann alt wird, weicht er nicht davon" (ebd.). Salomons Erziehungsdevise findet in der Haggada, der pädagogisch aufgebauten Erzählung vom Auszug aus Ägypten, ihre praktische Anwendung: "Von vier Kindern spricht die Tora: dem scharfsinnigen, dem rebellischen, dem gutmütig-naiven und dem unartikulierten" (Haggada). Diesen vier Grundtypen soll man die Erzählung aus Ägypten daher auch auf jeweils verschiedene Weise präsentieren. Während sich die in der Haggada in der Folge aufgeführten Antworten an das scharfsinnige und das gutmütig-naive Kind einfach an deren intellektuellem Niveau orientieren, werden die provokativen Fragen des rebellischen Kindes bezeichnenderweise ebenso provokativ beantwortet. Dem unartikulierten Kind schließlich, dessen Wissbegier nicht einmal durch die zahlreichen Handlungen des Sederabends angeregt wurde, muß man zuvorkommen. Man erzählt ihm die Geschichte über den Auszug aus Ägypten in ihm verständlichen Worten auch unaufgefordert.
Ein weiteres Erziehungsprinzip der Haggada betrifft das Verhältnis zwischen den Generationen. Nicht der Generationenkonflikt, sondern der Appell an die Solidarität der Generationen soll das kindliche Gemüt prägen: "In jeder Generation soll man sich betrachten, als ob man selbst aus Ägypten gezogen wäre" (Mischna Pessachim 10,5). Die persönliche Identifizierung mit den aus Ägypten ziehenden Vorfahren ist der Haggada ein unschätzbarer Wert: "Die Fähigkeit, sich in die Erzählung vom Auszug aus Ägypten zu vertiefen, ist ein Maßstab für geistige Größe" (Haggada, nach der Interpretation des Naziw zu Ex. 6,22).
Vier Becher Wein oder Traubensaft soll man im Verlaufe des Seder-Abends trinken. Sie erinnern an die vier Stufen der Erlösung, in denen sich nach Zeugnis der Tora (Ex. 6,6-7) der Auszug aus Ägypten vollzog (Jer. Talmud Pessachim, Anfang Kap. 10):
- "Ich werde euch hinausführen aus der Lastknechtschaft Ägyptens
- und euch erretten aus ihrer Fron
- und Ich werde euch erlösen mit ausgestrecktem Arm
- ...und werde euch Mir zum Volke nehmen und euch zum Gotte werden".
Die erste Stufe bezeichnet die Erlösung aus der drückenden Lastknechtschaft, das Ende der akuten physischen und geistigen Pein.
Die zweite Stufe bezeichnet die Aussetzung der Fron, die Beendigung des Herrschaftsverhältnisses, das die Ägypter zu Herren und die Juden zu Knechten machte.
Die dritte Stufe ist die Aufhebung des Fremdenstatus. Nicht als hilflose Fremde, vielmehr als Gottes "erstgeborener Sohn" (Ex. 4,22) ziehen die Juden aus Ägypten.
Die vierte Stufe bezeichnet die Vereinigung des befreiten Volkes mit Gott am Berg Sinai (nach S.R. Hirsch zu Ex. 6,6-7).
Pessach muss immer im Frühling stattfinden: "Halte den Monat der Ährenreife ein, und bringe dann das Pessachopfer dar, denn im Monat der Ährenreife führte dich der Ewige, dein Gott aus Ägypten" (Dt. 16,1). Die Ährenreife fällt in die Frühlingszeit. Die unbedingte Verbindung des Pessachfestes, dessen Datum (15.-22. Nissan) nach dem Mondzyklus berechnet wird, an eine Jahreszeit, d.h. an den Sonnenzyklus, ergab die Notwendigkeit, einen Kalender zu schaffen, der sowohl dem Mond- als auch dem Sonnenzyklus gerecht wird: den hebräischen Kalender.
Nur durch diesen Lunisolarkalender kann dem Pessachfest, wie den anderen jüdischen Festen, auch dessen landwirtschaftliche Komponente erhalten bleiben: mit ihm setzt die Erntezeit ein. Darüberhinaus kann eine mit einer Jahreszeit verbundene Erscheinung, ein Naturereignis also, auch ein passendes Sinnbild für einen gesellschaftlichen bzw. geschichtlichen Vorgang bilden (wie z.B. ein "frostiger Empfang" oder ein "politisches Tauwetter"). Im Hinblick auf das Pessachfest fallen der Aufbruch des jüdischen Volkes aus dem "ägyptischen Winterschlaf" und insbesondere die alljährliche Erinnerung daran wohl nicht zufällig mit dem Frühlingserwachen zusammen. Die Natur wird hierbei als im Dienst der Geschichte stehend betrachtet (S.R. Hirsch, Gesammelte Schriften, Band 1 und 5, zu Nissan).
Am Ausgang des ersten Pessach-Feiertages wurde unter feierlicher Beteiligung des Volkes eine Garbe (hebr. "Omer") Gerste geerntet und am nächsten Morgen als Erstlingsopfer im Jerusalemer Tempel dargebracht. Von dieser ersten Gerstenernte an, d.h. ab dem Ausgang des ersten Pessach-Feiertages, findet das sog. Omer-Zählen statt. Denn genau sieben Wochen, 49 Tage nach dem Darbringen des "Omer", soll Schawuot, das Fest der Übergabe der Tora, begangen werden. Bis dahin zählen die Juden die Tage. Das Omer-Zählen findet auch heute noch im Rahmen des Abendgebetes statt. Ihm wird tiefe Bedeutung zugeschrieben: Die an Pessach erlangte physische Freiheit wird an Schawuot durch die geistige Freiheit vervollständigt. Letztere wird dem Menschen erst durch die Tora gewährt.
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